Freie Entfaltung und Loslösung von dem Stress, der täglich an einem zerrt. Das klingt herrlich und ich will das genauso sehr wie zig andere Menschen auch. Nur wie geht das? „Machen“ heißt die Devise, alle Wege stehen offen, Du bist deines Glückes Schmied. Nette Parolen, ich würde sofort losmarschieren, wäre da nicht die Sache mit den Konditionierungen: Achtung, hier herrscht akute Stolpergefahr!
Was stresst wirklich?
Irgendwann kommt man nicht mehr drum herum: Verdreckte Schuhe im Flur, schmutzige Klamotten auf den Fußböden der Kinderzimmer, Bücher und Zeitungen auf dem Sofa und in der Küche liegen Haarspangen. Tagtäglich versuche ich Ordnung zu schaffen, doch mich stresst das, denn im Grunde fehlen mir die Zeit und auch die Lust dazu. Allein der Gedanke an die Unordnung verursacht ein Gefühl von Stress und Gereiztheit. Warum kann ich all das nicht einfach liegenlassen? Werden die Dinge gebraucht, verschwinden sie ohnehin wieder von alleine. Doch bin ich ehrlich, geht es weniger um die äußeren Räume, sondern viel mehr um meine inneren Räume. Da nützt es wenig, im Außen Ordnung zu schaffen. Alles nur Ablenkung, um ja nicht nach innen zu schauen, was sich hier so abspielt und mich dazu antreibt, meine Familie mit meinem Ordnungswahn zu stressen.
Die Unordnung in deinem Inneren, all die Konditionierungen und Glaubenssätzen, verursacht das im Außen Stress und Unzufriedenheit.
Konditionierungen erzeugen Stress
Genauso ist das nämlich. Meine Konditionierung treibt mich zum Perfektionismus. Ich muss um jeden Fall eine gute Mutter sein und bei meiner Programmierung gehört da absolute Ordnung im Haus mit dazu. Das hört sich schon beim Schreiben schrecklich an. Aber mein Denkmuster unterstützt diese Konditionierung noch, denn nur als „perfekte Mutter“ bin ich auch wertvoll. Oh Mann, was für eine vertrackte Denke!
Überlege du einmal, welche Konditionierungen bei dir zu Stress führen?
„Natürlich ist die Konditionierung eine mächtige Kraft, die es schwer machen kann, sich zu verändern. So wie Wasser den Weg des geringsten Widerstandes findet, tendiert man dazu, in Gewohnheiten zurückzufallen, weil dies in vieler Hinsicht der leichteste Kurs ist, dem man folgen kann. Dazu gehören gewohnte Weisen zu sehen und zu reagieren.“
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Konditionierungen erkennen, um Stress vorzubeugen
In dem Moment, wo du deine Konditionierung erkennst, dein typisches Verhaltensmuster, in diesem Moment hast du die Chance, einen anderen Weg einzuschlagen. Ich weiß, das ist nicht so einfach. Wem sage ich das. Ich erkenne meine Konditionierungen entweder im Nachhinein, wenn ich den ganzen Stress mitgemacht und alle anderen auch gestresst habe. Oder noch schlimmer, mittendrin, doch ich kann nicht damit aufhören. Am Ende stehe ich da, freue mich mittelmäßig über die Ordnung im Haus, denn zu welchem Preis all das?
„Zwischen Stimulus, Reiz, und Reaktion gibt es einen Raum. In diesem Raum ist unsere Macht, unsere Reaktion zu wählen. In unserer Reaktion liegt unser Wachstum und unsere Freiheit.“
Viktor Frankl, Psychiater und Überlebender des Holocaust
Falsche Rahmenbedingungen erzeugen Stress
Seit letzter Nacht treibt mich zu diesem Thema noch ein weiterer Gedanke um. Bis nach Mitternacht hatte ich in dem Roman „Die gleißende Welt“ der amerikanischen Schriftstellerin Siri Hustvedt gelesen. Keine Sorge, das wird jetzt keine Buchkritik. Mich fasziniert jedoch ein bestimmter Gedanke der Autorin: Der Roman spielt in der Kunstszene und es geht unter anderem darum, wie sehr ein Rahmen das Bild prägt. Das gleiche Bild in einem goldenen Barockrahmen wirkt beispielsweise komplett anders, wenn es in einem leichten Alurahmen präsentiert wird. Die Aussage des Bildes bleibt unverändert, trotzdem entfaltet sie sich unterschiedlich in Abhängigkeit von der Rahmung.
Das finde ich spannend. Wie ist das eigentlich bei mir, dachte ich sofort. Transportiert mein Rahmen, in dem ich stecke (Familie, Hund, Landleben, Homeoffice) mich so, wie ich bin? Oder würde ich in einem anderen Rahmen (Single, Stadtwohnung, Karriere mit schickem Büro) mehr zur Geltung kommen? Vielleicht liegt es an dem Rahmen, dass ich mich selbst stresse. Vielleicht ist mein Rahmen auch nur ein wenig zu eng für mein „Bild“
Transportiert du das, von dem du meinst, dass es dich ausmacht, in deinem Leben nach außen? Oder steckst du in einem Rahmen, der dich einengt oder vielleicht gar nicht zu dir passt?
Tatsächlich habe ich manchmal das Gefühl, mit einer Art angezogener Handbremse durchs Leben zu fahren. Dann reagiere ich gereizt oder fühle mich traurig, dass scheinbar niemand erkennt, was in mir rumort. Und sämtliche Dinge des Alltags erzeugen wegen meiner inneren Unzufriedenheit Stress. Jetzt denke ich jedoch: Hey, es liegt an dem Rahmen. Ich muss nur diesen Rahmen ein wenig sprengen und schon wird sich das, was mich ausmacht, entsprechend entfalten.
Weniger Stress mithilfe einer ehrlichen Analyse
Somit lag ich letzte Nacht wach und habe meine Rahmenbedingungen abgeklopft: Ich habe einen Job, der mir Spaß bringt, eine Familie, die mich erfreut und manchmal entsetzlich nervt, das ist normal, einen Hund, der mich mit Liebe überschüttet und der viel Arbeit bedeutet, und Freunde, mit denen ich nette Dinge unternehme. Passt doch. Natürlich erfordert mein Lebensmodell Kompromisse, aber damit kann ich leben – meistens jedenfalls. Dieser offensichtliche Rahmen passt also zu meinem Inneren ganz gut. Zumal ich jeder Zeit die Freiheit habe, hier und da die Leisten ein wenig zu verschieben und zu öffnen.
Also sind es bei mir tatsächlich vor allem die Konditionierungen, die Stress erzeugen. Und diese Konditionierungen zwängen mich in einen Rahmen (perfekte Mutter), der mir nicht guttut. Ich bin es selbst, die mir Freiheiten verbietet und Stress erzeugt, wo gar keiner notwendig ist.
Ein innerer Rahmen gezimmert aus Sätzen wie „ich muss“, „ich darf nicht“ und „ich reiche nicht“ unterdrückt dein wahres Ich und erzeugt permanent Stress.
Mein Rahmen scheint aus massivem Eichenholz zu bestehen, wie sonst konnten diese Parolen so lange überwittern? Und plötzlich waren sie alle da, die bekannten Sätze: Als Mutter muss ich für alle stets ein offenes Ohr haben, ich muss im Job kompetent und engagiert dastehen und als Frau natürlich sexy, sportlich und optisch mindestens um zehn Jahre jünger aussehen. Ich sage dir, das ist extrem anstrengend. Ich darf nicht schlapp machen, ich darf nicht einfach sagen „Ihr könnt mich alle mal…“, ich darf mich nicht gehen lassen und auf einer Party darf ich nicht einmal mundfaul in der Ecke stehen. Wie machst du das bloß?
In den Morgenstunden dann die Idee: Wie wäre es, diesen Rahmen vielleicht nicht gleich zu sprengen, aber wenigstens zu entstauben oder neu zu streichen? Das wäre ein Anfang. Für den buddhistischen Mönch Meister Han Shan bedeutet innere Freiheit:
„…das Loslassen von falschen Vorstellungen, Erwartungen, Konditionierungen und Manipulationen, die unsere Gesellschaft, unsere Kultur, unsere persönliche Geschichte und Erfahrung mit sich bringen.“
Aus: „Achtsamkeit – Die höchste Form des Selbstmanagements“, Han Shan
Stress als Stütze für den Selbstwert
Bin ich ehrlich, haben sich viele meiner Konditionierungen derart verfestigt, dass ich mich darüber definiere. Innerlich scheuere ich mir meine Ellbogen an meinen Rahmen wund, nur um das Gefühl zu haben, wertvoll zu sein. Mit der Erfüllung meiner Konditionierungen habe ich einen Wert. Das erschreckt mich. Lieber nehme ich Stress in Kauf, erzeuge dadurch Stress in der Familie, um ja nicht „wertlos“ dazustehen. Denn mein Ego baut auf dieser perfekten „Frauen- und Mutterrolle“ auf. Deswegen ist es so verdammt schwer, loszulassen. Doch ich bin nicht meine Konditionierungen, ich bin weit mehr! Daran muss ich jetzt arbeiten. Schritt für Schritt. Der erste Schritt lautet:
Achtsam zu erkennen: Stopp, hier folge ich einer Konditionierung, ich kann auch anders.
Für den Anfang ist das bereits eine ganze Menge. Um das Thema Selbstliebe und Selbstwertgefühl kümmere ich mich ein anderes Mal. Erst einmal mache ich mich jetzt an die Aufräumaktion -:= Aber nicht in den Wohnräumen, die sehen eigentlich recht ordentlich aus. Ich räume in den inneren Räumen auf, im Eingemachten, denn da gibt es eine Menge zu entstauben und entrümpeln.
- Ich achte bewusst auf gedankliche Sätze mit „Ich muss“ , „Ich darf nicht“ und „Ich reiche nicht“.
- Ich wandele diese Sätze für mich um: „Ich darf, wenn ich möchte“ und „Ich erlaube mir“ und „So wie ich bin, bin ich in Ordnung“.
- Ich nehme mir ein wenig Zeit und schreibe die gesellschaftlichen Erwartungen auf, denen ich zu entsprechen versuche. Durch das Aufschreiben bekomme ich bereits Abstand dazu, um dann erneut zu schauen: Will ICH das wirklich?
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