Optimierungsstress pur oder wie sonst soll man diesen Wahnsinn nennen: Selbst das Ausspannen wird zur Last. Freie Zeit darf nicht sinnlos vertan werden. Von wegen gemütlich faulenzen. Das ist ein Zeitphänomen der Vergangenheit, es hat sich längs ausgelenzt. Abgrenzung wäre ein Versuch. Doch lässt sich das Nichtstun ohne schlechtes Gewissen genießen?
Abgrenzung bedeutet Besinnung auf sich selbst
Da mache ich nicht länger mit, mir reicht`s. Wie oft entdecke ich in den Zeitschriften Artikel mit großformatigen Hochglanzbildern von Pilates-Übungen, veganen Kochgerichten, Hautstraffungs- und Hautaufpolsterungsprodukten und nicht zu vergessen alle möglichen Empfehlungen für Schönheits-OPs. Dann erwische ich mich, wie ich vor dem Spiegel meine Nasalfalten glattziehe und meine Zornesfalte wegzudrücken versuche. Lustlos sehe ich mir auf YouTube Pilates-Videos an, lese mich im Drogeriemarkt durch alle möglichen Produktbeschreibungen diverser Hautcremes und bereits beim Backen meines geliebten Käsekuchens lugt das schlechte Gewissen mit erhobenem Zeigefinger hinter dem Schüsselrand hervor.
Im Ausüben von Achtsamkeit findest du zu dir selbst zurück und befreist dich mehr und mehr von den Vorstellungen anderer.
Was will ich eigentlich?
Diese Frage stellen wir uns viel zu selten. Blick dich einmal um und betrachte die Menschen um dich herum. Jeder ist komplett anders und beileibe nicht „perfekt“. Und egal, wie „perfekt“ einige auch seien mögen: Welche Menschen berühren dich, welche bleiben dir in Erinnerung? Vorgestern früh morgens beim Hundespaziergang ging ich an einem Spielplatz vorbei. Dort saßen eine dicke Frau mit Kopftuch und ihre Tochter auf den Schaukeln und hatten mächtig Spaß. Die Frau merkte, dass ich sie beobachtete und lachte mich an, ich lachte zurück und wir riefen uns ein paar Sätze zu. Ihr Lachen war so erfrischend und herzlich, dass es mich bis heute begleitet, sonst würde ich jetzt nicht davon schreiben.
Was ist also wichtig?
Je mehr du dich im Außen verlierst, desto mehr entfernst du dich von dir selbst. Abgrenzung vom Außen ist der Weg zu dir selbst.
Abgrenzung vom Optimierungswahn
Ich wette, diese Frau auf der Schaukel geht ihr Leben gelassener an als ich. Ich mag mich täuschen, doch ich glaube, sie spürt nicht diesen Druck, stets jede Minute sinnvoll nutzen und sich selbst ständig optimieren zu müssen. Ich kriege jedes Mal spitze Ohren, wenn ich höre, dass eine Freundin beispielsweise auf irgendeinem Seminarwochenende war, an der Hochschule einen Kurs belegt hat und neuerdings in ein Fitness-Studio eingetreten ist. Sofort denke ich, das muss ich jetzt auch alles machen. Stopp!
Will ich das überhaupt?
So wie du heute bist, bist du die beste Version deiner selbst. Und so wie du morgen bist, bist du morgen die beste Version deiner selbst.
Manchmal habe ich das Gefühl, wir setzen uns nur deshalb unter diesen enormen Druck, um dem rasanten technologischen Fortschritt auch persönlich etwas entgegenhalten zu können. Das ist vielleicht Quatsch, für mich fühlt es sich aber so an. Wir müssen uns optimieren, weil alles um uns herum rasend schnell optimiert wird. Abgrenzung von derartigen Resonanzen ist extrem wichtig, um wieder bei sich selbst anzukommen.
„Ich weiß nicht, ob das Universum mit seinen unzähligen Galaxien, Sternen und Planeten irgendeinen besonderen Zweck erfüllt, aber zumindest eines ist klar: Wir Menschen, die wir auf dieser Erde leben, sind vor die Aufgabe gestellt, auf glückliche Weise zu leben.“
aus: „Der Sinn des Lebens – Die Botschaft des Buddhismus“, Dalai Lama
Abgrenzung von Fremdbestimmung
Statt zu schauen, was wir wollen, orientieren wir uns zu sehr an dem, was andere machen. Ich habe auch genug von diesen ganzen Parolen, wie zum Beispiel „Stillstand ist Rückschritt.“ Nein, ist es nicht. Ich stehe gerne mal still und genieße den Moment, spüre, fühle und verbinde mich mit mir und dem Gefühl, Teil eines Größeren zu sein. Denn dieser Druck, es den anderen gleich zu tun, füttert uns täglich mit dem Gefühl, nicht zu reichen. Was tun wir uns damit eigentlich an? Und wer bestimmt, wann und wie wir reichen? Abgrenzung von fremden Vorstellungen und hin zu mehr Eigensinn. Das wünsche ich mir. Ich möchte nicht immer zielorientiert sein. Ich möchte wie die Frau auf der Schaukel sitzen, vor und zurück, den Moment genießen. Spaß haben. Ist das sinnlose Zeit? Nein, es ist komplett sinnvolle Zeit, erfüllte Zeit und bewusst wahrgenommene Zeit.
Spielende Kinder bewegen sich in einer Sinnfülle. Diese Art von Sinnfülle haben wir als Erwachsene verloren und müssen sie durch Bewusstheit erst wieder neu entdecken. Denn scheinbar Sinnloses kann Spaß machen.
Du musst selbst bestimmen, was dir Freude bringt in deinem Leben und was deine Zufriedenheit stärkt. Und um das herauszubekommen, musst du dich von den Vorstellungen der anderen abgrenzen.
Abgrenzung mithilfe von Achtsamkeit
„Momente des Genusses sind Momente der Sinnfülle, Sinn kommt von Sinnlichkeit.“
Aus: „Brand eins“(12/12), Interview mit Wilhelm Schmid, Professor der Philosophie)
Ist Achtsamkeit nicht auch so ein Optimierungstrend, der dich ebenso unter Druck setzt, wie all die anderen Parolen? Erst einmal ist Achtsamkeit kein Ideal, dem man entsprechen muss. Man macht es einfach, indem man aufmerksam und neugierig den Moment erlebt. Wie ein Kind, das etwas zum ersten Mal ausprobiert. Am Anfang ist es daher nichts anderes, als den Alltag bewusst zu unterbrechen, um dadurch Gewohnheitsmuster zu erkennen und wahrzunehmen, was gerade ist. Mehr Aufwand erfordert es in der Tat nicht. Für einen Moment innehalten, spüren, was ist, welche Gedanken da sind, welche Sinneseindrücke um dich herum da sind und für diesen Moment präsent sein, ohne zu bewerten. Hast du diese Unterbrechungen schließlich in deinen Alltag integriert, kannst du dich an weitere Übungen herantasten. Musst du aber nicht. Die Freude an dem Erleben achtsamer Momente im Alltag befreit dich von Druck. Von daher wirst du selbst schnell spüren, dass Achtsamkeit eher eine Art Loslösung und Befreiung ist. Eine befreiende Abgrenzung von Druck und äußeren Erwartungen.
Irgendwo habe ich einmal folgenden Satz des Psychologen Dr. Matthias Ennenbach gelesen, der sich mir einprägte:
„Achtsamkeit ist vollendet, wenn der Meister zum Meister wird, aber eben auch wenn der Bäcker zum Bäcker wird.“
Wenn du zu dir wirst, dann ist es geschafft. Aber eben nicht, wenn du zu all dem wirst, was all die Stimmen da draußen von dir „fordern“. Oft derart penetrant, dass sich diese Stimmen bereits in dir eingenistet haben und du mit ihren Zungen sprichst.
Nutze Achtsamkeit, um dich abzugrenzen und von dem Druck zu befreien. Bald wirst du spüren, dass Abgrenzung mithilfe von Achtsamkeit dich stärkt, so dass sich viele innere Fesseln wie von selbst lösen. Sei gnädig mit dir, genieße die achtsamen Momente als Geschenk an dich selbst.
Und indem du dich von fremden Vorstellungen abgrenzt, erkennst du die Grenzen deiner eigenen Handlungsmöglichkeiten und schützt dich so vor fremden Illusionen.
Diese Haltung bedeutet für den Philosophieprofessor Wilhelm Schmid Lebenskunst:
„Dass zur Lebenskunst nicht nur das Machen, sondern genauso das Lassen gehört, hat sich noch nicht herumgesprochen.“
Lebenskunst ist eben auch, sich komplett „Sinnloses“ zu gönnen mit dem einzigen Sinn, dass es glücklich macht. Wie die Frau auf der Schaukel, vor und zurück, wieder Kind sein.
- Spüre ich, dass die Ideen anderer mich unter Druck setzen, atme ich in meinen Körper, um mich bewusst zu spüren und frage mich, was ich eigentlich will.
- Ich gönne mir täglich kleine Momente der Achtsamkeit, in denen ich bewusst spüre, meine Gedanken beobachte und auch das Außen mit allen Sinnen wahrnehme.
- Statt mich für „sinnlosen“ Zeitvertreib zu schämen, spüre ich der Freude dabei bewusst nach und verankere sie in mir.
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