Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterne. Brenne auf mein Licht, brenne auf mein Licht, aber nur meine liebe Laterne nicht – Ich würde mich auch freuen, wenn mein Licht mehr Strahlkraft entwickeln würde. Wenn mein Fünkchen Selbst sich entfacht und mich zum Lodern bringt. Vielleicht hilft mehr Abgrenzung, damit mein Flämmchen genügend Sauerstoff bekommt, um sich zu entfalten.
Je mehr wir uns ausprobieren, desto tiefer dringen wir zu uns selbst vor.
Abgrenzung beginnt im Kopf
Ich mag das, diese bunten, selbstgebastelten Laternen, die von kleinen Knirpsen bei Einbruch der Dunkelheit durch die Straßen getragen werden. Dazu meist falsch gesungene Lieder und lautes Gekicher und Geschnatter – zu süß. Zwar ist erst am Donnerstag Martinstag, doch unsere Nachbarskinder sind bereits gestern mit ihren Lichtern losgezogen und als ich sie dabei durchs Fenster beobachtete, dachte ich an besagten Martin. Dieser gutherzige römische Soldat schnitt einst seinen Mantel entzwei, um ihn mit einem Bettler zu teilen, der sich ihm nachts im Traum als Jesus Christus offenbarte. Er zögerte nicht lange, vielleicht hätte manch einer zu ihm gesagt, er sei verrückt, seinen guten Mantel zu zerstören. Martin aber war das egal.
Wann war dir zuletzt egal, was andere sagen? Wann bist du einfach deinem Herzen gefolgt, ohne lange zu überlegen und abzuwägen?
Ich gestehe, mit fällt es schwer, mich von der Meinung anderer abzugrenzen. Dadurch limitiere ich mein Selbst, gebe ihm nicht genug Raum zur Entfaltung. Der Laternenumzug erinnerte mich an das Laterne Basteln früher mit den Kindern im Kindergarten. Meine Kinder malten, schnitten aus und klebten, wie es ihnen in den Sinn kam. Und ich versuchte hier und da zu korrigieren, schließlich wurden die Laternen der anderen Kinder alle schöner und die Blicke der Mütter immer vielsagender. Warum war mir das nicht egal?
Als ich die Laternenkinder gestern Abend so beobachtete, neidete ich ihnen ihre Selbstverständlichkeit. Die Mützen waren verrutscht, hier hing ein Hemd aus der Hose, da war eine Jacke falsch geknöpft und mehr geschrien als gesungen haben sie alle. Ihnen war all das schnurzegal. Beneidenswert. Das erinnerte mich mal wieder daran, dass Abgrenzung immer bei uns selbst beginnt. Ich muss mich von meinen eigenen Ansprüchen abgrenzen, von meinen Gedanken, die mich piesacken, von wegen, was die anderen denken. Abgrenzung im außen ist erst der zweite Schritt. Zuerst geht es um Abgrenzung im Inneren. Abgrenzung von dem, was „selbstgemacht“ ist.
Abgrenzung von dem Fremdbild
Dein Ego setzt sich aus einem Puzzle aus Konditionierungen, Denkgewohnheiten und Glaubenssätzen anderer Menschen zusammen. Dazu die vielen äußeren Faktoren, wie zum Beispiel Moden und Trends. Nicht zuletzt verspürt jeder von uns den natürlichen Drang, gefallen zu wollen, anerkannt und geliebt zu werden. Quasi ein riesiger Haufen an „Fremdeinwirkung“. Dabei will doch jeder irgendwie nur er selbst sein und sich abgrenzen von all den Zwängen und Anforderungen, wie man sei soll und was man machen muss. Das stresst gewaltig und vermiest sämtliches Erleben.
In seinem Buch „In den Armen des Lebens“ zitiert Dr. phil. Bernhard A. Grimm seinen Freund Dr. Baldur Kirchner:
Wer zur Selbsterkenntnis gelangen will, kommt nicht umhin, sich kritisch mit seinem Fremdbild zu befassen.
Unter Fremdbild versteht der Philosoph die Summe der Eindrücke, die wir bei anderen Menschen hinterlassen. Und da geht es ans Eingemachte. Wie möchtest du nach außen wirken? Ich gestehe, ich bediene auch irgendwie ein Image, das ich unbewusst pflege. Doch tut mir dieses Image immer gut? In welchen Situationen wäre Abgrenzung von diesem Image viel ehrlicher und gesünder? Und natürlich die Frage, wie schaffe ich es überhaupt, mich davon abzugrenzen? Da kommt wieder Achtsamkeit ins Spiel: Achtsam die eigenen Gedanken und Gefühle wahrnehmen und bewusster bei mir selbst bleiben, zum Beispiel, indem ich immer mal wieder im Laufe des Tages für ein paar Minuten in die Stille gehe und mich spüre. Und natürlich täglich meditieren, auch wenn der innere Schweinehund sich müde reckt und streckt.
Achtsames Erkennen als Grundlage für erfolgreiche Abgrenzung
Interessant ist es, einmal jemanden zu bitten, er möge dich beschreiben, wie er dich sieht. Und dann achte bewusst darauf, was sich bei dir innerlich abspielt, wenn du dein Feedback erhältst: Wie fühlt es sich an – emotional und körperlich? Zum Beispiel lobt jemand deine kommunikative Art. Freust du dich oder zieht sich dabei innerlich alles bei dir zusammen, da deine lebhafte Redekunst nichts anderes als eine jahrelang antrainierte Verdrängungsstrategie ist. Am liebsten würdest du dich davon abgrenzen, aber geradezu automatisch übernimmst du zusammen mit anderen Menschen die Unterhalterrolle, dabei fühlt sie sich an vielen Tagen gar nicht passend an. Aber du traust dich nicht, dich so zuzumuten, wie du bist, aus Angst vor Ablehnung.
Vielleicht beschreibt der andere dich auch als viel selbstbewusster als du dich selbst fühlst. Oder er erlebt dich eher als zurückhaltend, dabei fühlst du dich immer so, als würdest du viel Raum einnehmen. Ein derartiges Feedback offenbart vieles. Und je achtsamer du deine Verhaltensmodi erkennst, desto leichter kannst du dich von denjenigen, die dir nicht guttun, abgrenzen und mit ein wenig Übung komplett lösen.
Nur ganz wenige – leider – gehen (…) diesen Weg nach innen und riskieren diese Begegnungssuche mit dem eigenen Selbst. Aber nur so und ausschließlich nur so wird man des idealen Entwurfs des eigenen Lebens gewahr und trifft auf das Vorbild, das man – oft unklar und unzugänglich – in sich trägt.
Aus: „In den Armen des Lebens“, Bernhard A. Grimm
Ich denke, im Endeffekt geht es gar nicht unbedingt darum, sich komplett von Fremdbildern lösen. Wir schlüpfen immer in Rollen und diese Rollen haben ihre Berechtigung. Zum Beispiel die Rolle der Mutter, der Businessfrau, der Unterhalterin, der Denkerin, der Sportlerin, der Kunstliebhaberin etc. Es geht vielmehr darum, sich dessen bewusst zu werden, mithilfe von Achtsamkeit zu spüren, wie wir uns in diesen Rollen fühlen. Es geht um eine Abgrenzung von dem achtlosen Automatismus hin zum bewussten Erleben, was gerade ist (gedanklich, körperlich und emotional), um dann frei und selbstbestimmt zu entscheiden, was einem guttut und was nicht.
Mit jeder achtsamen Minute schenkst du deinem Funken Selbst tief in deinem Sauerstoff, damit er zu einer Flamme heranwachen kann.
Neues wagen und sich abgrenzen
Nicht nur Meditation und das in die Stille Gehen unterstützen dich dabei, dich besser abzugrenzen. Du kannst auch Neues wagen, Dinge verändern, Kleinigkeiten in deinem Alltag einfach anders machen und schon kommst du ins achtsame Spüren. Dieses „Ausprobieren“ lässt dich wieder näher an dich heranrücken und dein Handeln und deine Gefühle bewusster wahrnehmen. Und es motiviert dich, zukünftig besser für dich zu sorgen und entsprechend abzugrenzen.
Der Motivationspsychologe Abraham Maslow brachte es auf den Punkt:
„Was ein Mensch sein kann, muss er sein.“
Aus: „In den Armen des Lebens“
Anders werden wir uns nie so richtig zufrieden fühlen. Irgendetwas wird immer fehlen. Es erfordert nur ein bisschen Mut, hier und dort Grenzen zu setzen und für sich selbst zu plädieren. Doch die Praxis der Achtsamkeit geleitet uns behutsam genau dorthin.
Übrigens habe ich auch überlegt, inwiefern ich etwas Neues wagen kann, um ins achtsame Spüren zu kommen. Statt wie jeden Abend ein paar Notizen zum Tag aufzuschreiben, habe ich den Tag in Form einer Notation (Zeichen, Striche, Linien) festgehalten. Das ist spannend, gerade für mich als Autorin. Ich habe Linien in Form von Schlaufen, Wellen, Strichen oder Haken gekritzelt. Und ich war überrascht, wie schnell ich mich dabei wie von selbst von meinen Gefühlen leiten ließ. Der Kopf hatte Pause. Ein komplett anderes Erleben. Was ich mit diesen kryptischen Skizzen mache? Nichts, alles für die Tonne. Aber das Erleben dabei, das war fürs Herz.
- Ich erfinde neue Ausdrucksformen für meine Gedanken: Notationen, Töne, Farben (z.B: Welche Farbe hatte mein Tag heute? Kann ich meinen Tag summen?)
- Feedback von anderen (Komplimente, Kritik, Bewertungen, Ratschläge etc.) erspüre ich: Wie fühlen sich die Aussagen körperlich an, welche Gefühle kommen auf.
- Ich beginne meine tägliche Meditation mit dem freudigen Gedanken, dass mich diese 20 Minuten ein Stück näher zu meinem Selbst führen werden.
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