Ist doch verrückt: Bedingt durch zahlreiche Verpflichtungen zurren wir die Welt um uns herum eng zusammen und beklagen den Trott des Alltags. Dabei wird uns der Atem knapp und unser Leben erscheint uns viel zu eng. Erst eine achtsame Abgrenzung für das bewusste Erleben des „Jetzt“ eröffnet uns den Raum, um zu erkennen, was an Gutem und Schönem da ist, um diesen Reichtum zu genießen.
Abgrenzung durch einen Moment des Innehaltens und des bewussten Genießens stäkt unsere Kraft, unsere Gelassenheit und Lebensfreude.
Den Moment erleben
Während der letzten Wochen war viel los bei uns. Auszug meiner Tochter, vorrübergehender Einzug meines Sohnes, Zahn-OP, Besuch der Schwiegermutter und das Hundekind hatte Magen-Darm-Geschichten. Die Tage sind an mir vorbeigerauscht und abends hatte ich oft gar kein Gefühl mehr für den verstrichenen Tag, denn der wurde nur abgearbeitet. Und das hat mich erschreckt. Also habe ich etwas verändert. Ich habe mir Zeit genommen für den Moment.
Ich habe innegehalten, weil es Wichtigeres gibt, als von einem zum nächsten zu rauschen. Zum Beispiel habe ich mich für einen Moment hingesetzt, um zu spüren. Dabei habe ich tief ein- und ausgeatmet und mir den Moment bewusst gemacht. Ich bin mir meiner selbst bewusst geworden. Von dem, was alles ansteht, und von meinen Gedanken habe ich mich für diesen Moment abgegrenzt. Und ebenso habe ich darauf geachtet, mich von der Hetze und Eile abzugrenzen, um zum Beispiel dem Hund den Kopf zu kraulen, wenn er zu mir an den Schreibtisch kommt und seine Schnauze auf meine Knie legt. Es sind nur kleine Momente, die jedoch einen großen Unterschied machen.
Abgrenzung von der Zeit, und sei es nur für den einen Moment, beschenkt uns mit dem Erleben der Unendlichkeit.
Ins Spüren kommen
Diese Momente der Achtsamkeit, wo wir uns vom Außen und auch von unseren eigenen Ansprüchen abgrenzen, wo wir plötzlich sehr klar erkennen, was eigentlich wichtig ist, diese Momente sind es, worum es bei allem geht. Momente, wo quasi Zeit und Raum unbedeutend sind, sich auflösen. In diesen Momenten spüren wir. In diesen Momenten sind wir. Vielleicht ist es schwer, diese Momente zu beschreiben. Doch wenn du selbst dafür sorgst, solche Momente des achtsamen Innehaltens in deinen Tag einzuschieben, wirst du selbst spüren, wie bereichernd sie sind. Sie eröffnen uns einen Raum der Zuversicht, der Freude, der Genügsamkeit und Dankbarkeit.
„Die Welt ist unvollkommen, nie so, wie sie sein müsste. Man versteht sie oft nicht, erlebt sie als chaotisch. Sich selbst oder etwas anderes schön zu machen ist der Weg, das Chaos zu beherrschen, einen „Kosmos“, also ein geordnetes Ganzes daraus zu machen.“
Rebekka Reinhard, Interview-Auszug zum Thema „Schönheit“
Abgrenzung im normalen Alltagstrubel, indem du einen Moment innehältst und das, was gerade ist, bewusst erlebst. Im Grunde ist das auch ein kleines „Loslassen“. Und es ist überraschend, denn diese Momente rauben null Zeit. Sie beschenken dich sogar mit Zeit, weil du durch sie ein intensiveres Zeiterleben erfährst.
Den Sinn des Augenblicks erleben
In einem Interview der Zeitschrift „Psychologie heute“ mit Professor Alfried Längle (Präsident der internationalen Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse) bin ich über folgenden Satz gestolpert:
„Bei der Idee, dass Sinn einmal gefunden und festgelegt wird und dann ein Leben lang Bedeutung hat und quasi in Stein gemeißelt ist, handelt es sich um ein fundamentales Missverständnis.“
Ich habe lange darüber nachgedacht. Es ging in dem Interview nicht um Abgrenzung, sondern um die Sinnfrage. Dennoch beschlich mich beim Lesen das Gefühl, dass auch der allgemeine Wunsch nach mehr Abgrenzung mit der Sinnsuche einhergeht. Viele Menschen möchten sich vom Alltag mehr abgrenzen, um Dinge erleben zu können, die sie näher zu sich selbst bringen. Sie möchten etwas Sinnvolles in ihrem Leben machen und den Sinn ihres Lebens spüren. Alles schön und gut, doch plötzlich dachte ich „Stopp“. Es geht im Grunde gar nicht um die große Abgrenzung, sondern um Abgrenzung im Kleinen: Kurz Innehalten im Geschehen, sich vom Außen abgrenzen und den Moment achtsam mit dem Herzen wahrnehmen. Diese vielen kleinen Momente des Tages sind es, die den Sinn ausmachen. Jeder Moment trägt den Sinn in sich. Bleibe ich zum Beispiel kurz stehen, um eine Blume achtsam zu betrachten, sehe ich in der Blume die ganze Kraft der Schöpfung und die gesamte Schönheit der Natur. Dieser eine Moment Abgrenzung vom Außen beschenkt mich mit der Freude meines Herzens. Und genau darin liegt der Sinn.
Professor Alfried Längle, Interview „Psychologie heute“
Unser Herz öffnen
Probiere es selbst einmal aus und vor allem dann, wenn es bei dir auch gerade hoch hergeht. Es gibt immer diese kleinen Momente, wo du dich von dem Geschehen um dich herum abgrenzen kannst, um nur für einen Moment das Gute zu genießen. Momente, wo die Sorgen und Verpflichtungen ausgegrenzt werden können für einen Augenblick der Freude.
Schließlich ist es ja auch so, dass alles unbeständig ist, auch deine negativen Geisteszustände. Daher ist es so wichtig, Momente des Wohlgefühls achtsam und bewusst wahrzunehmen und in unser Herz zu lassen. Das kann ein Lächeln sein, das dir über die Lippen huscht, wenn du Kinder beim Sammeln der bunten Herbstblätter beobachtest. Oder die Freude, wenn du dein Lieblingsessen kostest, das nette Gespräch mit dem Gemüsehändler auf dem Wochenmarkt oder eine Umarmung einer Freundin.
Indem wir Momente des Wohlgefühls achtsam wahrnehmen, grenzen wir uns für den Augenblick von allem ab, was uns belastet oder stresst.
Sobald du durch diese Art der „kleinen“ Abgrenzung zwischendurch für mehr Freude und für eine erfüllende Lebendigkeit in deinem Leben sorgt, wird sich vieles in deinem vielleicht stressigen und mühseligen Alltag relativieren. Du öffnest dein Herz für das Schöne und gewichtest die Dinge nach und nach entsprechend positiver.
Der österreichische Neurologe und Psychiater Viktor Frankl sagte einmal, dass das Sinnthema wie das Dach eines Hauses sei. Damit dieses Dach getragen würde, bräuchte es Mauern und Fundamente.
Diese Momente der Freude bilden die Mauern und die Fundamente unseres Hauses. Ich werde auf jeden Fall weiterhin zusehen, ein „guter Bauarbeiter“ zu sein und meine Pausen der „Mini-Abgrenzung“ weiterhin pflegen. Das Schöne dabei: Diese Art der Abgrenzung schenkt enorm viel Kraft, denn tatsächlich fühle ich mich trotz Einbindung ins Geschehen quasi rund um die Uhr voll Energie. Probiere es auch einmal aus, es lohnt sich!
- Ich nutze bewusst Momente, in denen ich mich abgrenze und innehalte, um zu spüren und mein Herz für die Schönheit des Augenblicks zu öffnen.
- Gerade dann, wenn es hektisch und stressig wird, halte ich inne und grenze mich über das bewusste Atmen von allem ab, um bei mir anzukommen und Kraft und Ruhe aus mir selbst heraus zu tanken.
- Tägliche Wege, wie zum Beispiel der Gang zum Bäcker, nutze ich zur Abgrenzung: Statt gedanklich meine Verpflichtungen durchzugehen, genieße ich die Herbstluft, das Laub auf dem Bürgersteig und das gute körperliche Gefühl des Gehens.
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