Alle reden immer von Stress. Und ohne Abgrenzung wird das auch immer so weitergehen. Da helfen keine Entspannungsrituale nach Feierabend. Entscheidend ist unser Umgang mit dem Alltag. Unser Verhalten im Job oder auch gegenüber Freunden und Familie. Und dazu gehört auch Abgrenzung uns selbst gegenüber, denn wir müssen nicht auf allen Hochzeiten tanzen.
Ohne gesunde Abgrenzung verlierst du das Gefühl für dich selbst und nährst deine inneren Kritiker und Antreiber.
Abgrenzung macht das Leben leichter
Dort stand ich also gestern Abend, trank Weißwein so trocken, dass bei jedem Schluck jeglicher Speichelfluss stoppte, fingerte durchweichte Häppchen vom Silbertablett und hörte mir Smaltalk an, der mich wenig interessierte. Networking nennt man das. Dabei wäre ich viel lieber zuhause geblieben, hätte mein Buch weitergelesen und es mir gemütlich gemacht. Doch die Angst, etwas zu verpassen, hatte mich zu diesem Event getrieben, obwohl mein Gefühl mir sagte, bleib doch einfach zuhause.
Aber ich fürchtete, nicht mithalten zu können und mich auszugrenzen. Denn Networking ist im Trend, ist wichtig und man muss da mitmachen. Doch wenn ich verspüre, dass mir das keinen Spaß bringt, dass es für mich Zwang ist, dann muss ich niemanden etwas beweisen, schon gar nicht mir selbst.
Weil alle es machen, musst du es noch lange nicht machen. Spüre stattdessen achtsam, was für dich passt und setze Grenzen.
Um zu erkennen, was man wirklich möchte, hilft es, sich Situationen zu visualisieren und in die dabei aufkommenden Bilder hineinzufühlen. Fühlst du beispielsweise Energie aufkeimen, wenn du dich im Geiste auf so einem Networking-Event siehst, dann zeigt dir dieses Bild, dass dir so etwas guttun könnte. Ganz anders natürlich, wenn du bei der Visualisierung eindeutig Unbehagen spürst.
Natürlich kann man sich nicht vor allem verschließen und muss auch achtsam spüren, warum man bei bestimmten Dingen einen Widerwillen spürt. Manchmal liegt das nämlich auch daran, dass man mit sich selbst nicht zufrieden ist, nicht genügend Selbstwertgefühl besitzt, sich nicht zeigen mag, vielleicht fürchtet, nicht mithalten zu können.
Da wir beispielsweise gerade mit unseren Kindern viele Sorgen haben, habe ich null Lust, zu Einladungen von Freunden zu gehen. Mir steht so etwas dann richtig bevor. Warum? Weil ich mich schäme. Es mir unangenehm ist, dass sich bei unseren Kindern Probleme türmen. Ich empfinde das viel zu oft als persönliches Versagen. Mein Mann puscht mich dann meistens ein wenig mit dem Argument, es würde mir guttun, schließlich seien das Freunde, die uns gerne mögen.
Spüre ich ehrlich in mich hinein, weiß ich auch, dass er recht hat. Solche Abende bringen wieder Leichtigkeit ins Leben. Sie schenken Energie, sie ummanteln mich mit der Liebe der Freundschaft. In solchen Situationen hilft mir also das achtsame Spüren, um mich von meinem Anspruch der Perfektion abzugrenzen. Abgrenzung von der Stimme der Scham, die mir zuflüstert, ich habe als Mutter nicht gereicht. Und Abgrenzung von meinen eigenen Minderwertigkeitsgefühlen.
Abgrenzung stärkt das Gefühl für dich selbst
Wichtig ist es, zu lernen, den eigenen Wahrnehmungen zu vertrauen, den inneren Druck zu heilen und dem Druck durch das vermeintliche Außen zu wiederstehen. Es ist ja bekannt, dass das, was wir meinen, dass es die anderen über uns denken, unsere eigenen Gedanken über uns selbst sind. Unsere Erwartungen an uns selbst sind viel höher als die Erwartungen der anderen. Und niemand macht sich so viele Gedanken über dich wie du selbst.
Sagst du bewusst zu Dingen „Nein“, weil du spürst, dass du dazu keine Lust hast, dass du es nur machst, weil alle es machen oder um jemanden nicht zu verärgern, ist das oft schwer auszuhalten. Die Sehnsucht danach, von jedem gemocht zu werden, Anerkennung zu bekommen und nicht außen vor zu stehen, diese Sehnsucht kocht besonders hoch, wenn du dir selbst keine Liebe schenken kannst.
Je mehr du jedoch dich selbst annehmen kannst, wie du bist, desto weniger hast du den „Zuspruch“ der anderen nötig. Deswegen ist es gerade wichtig, deinen eigenen Bedürfnissen zu lauschen, ihnen Raum zu geben und ins Spüren zu kommen. Denn je mehr du deine Bedürfnisse ernst nimmst, sie priorisierst, desto stärker wächst dein Gefühl für dich und damit dein Selbstwert.
Abgrenzung bedeutet nicht Verlust, sondern Gewinn an Eigenliebe, an Respekt und an Selbstwert.
Abgrenzung öffnet den Fluss der Liebe
Wer frei Entscheidungen treffen kann, ohne dabei überfordert zu werden, fühlt sich am wohlsten. In Situationen, in denen wir feststellen, dass wir uns nicht abgegrenzt haben, weil wir es anderen rechtmachen wollten, in diesen Situationen fühlen wir uns schlecht, reagieren gereizt und hadern mit uns selbst. Jede fehlende Abgrenzung führt dazu, dass wir uns in Punkto Eigenliebe schaden und wieder ein wenig von uns selbst entfernen. Insofern bedeutet Abgrenzung, für seine eigene Freiheit zu kämpfen.
Natürlich kann man sich nicht immer abgrenzen, muss Kompromisse eingehen, sei es im Job oder in der Familie. Doch es bleibt immer genügend „Handlungsspielraum“, um achtsam zu spüren, ob du etwas wirklich willst, weil du es willst. Und machst du etwas beispielsweise aus Liebe zu deinen Kindern, obwohl du wenig Lust dazu hast, macht es einen Unterschied, wenn du dir diesen „Handlungsfreiraum“ nimmst, um achtsam zu spüren, warum du es tust. Dieses bewusste Spüren verändert bereits deine Haltung. Beispielsweise hast du nach Feierabend keine Lust mehr, in der Küche zu stehen, doch möchten deine Kinder unbedingt mit dir zusammen einen Kuchen backen. Spürst du jetzt achtsam in dich hinein, kannst du fühlen, dass du hier vielleicht „Ja“ sagst, denn ihre Freude erwärmt dein Herz.
Das achtsame Spüren schenkt dir den Freiraum, bewusst zu entscheiden, wann Abgrenzung nottut.
Menschen, bei denen die Grenzen in der Kindheit bereits wieder und wieder verletzt wurden, fällt es besonders schwer, dem inneren und äußeren Druck standzuhalten. Ich denke auch, dass es hier eine Generationsfrage ist. Wir sind als Eltern viel mehr auf die Grenzen unserer Kinder eingegangen, in meiner Kindheit war das anders. Daher habe ich nach wie vor Schwierigkeiten, mich abzugrenzen, spüre schnell Selbstzweifel und Schuldgefühle. Und die Angst, durch Setzen von Grenzen die Liebe der anderen zu verlieren, fühlt sich manchmal existenziell an. Doch dann hilft es, sich selbst in den Arm zu nehmen, eine Weile die Augen zu schließen und sich gedanklich Liebe zu schenken: „So wie ich bist, bin ich vollkommen.“
Abgrenzung verändert Strukturen
Je klarer und selbstbewusster du deine Grenzen setzt, desto mehr wird man sie respektieren. Du gewinnst sozusagen an Standing. Man achtet dich und deine Bedürfnisse. Man respektiert dich. Das ist in etwa so, als wäre das Bild von dir zuvor eine weichgezeichnete Fotografie gewesen, etwas verschwommen und vernebelt. In dem Moment, wo du Grenzen setzt, wird das Bild von dir scharf, du nimmst sozusagen Farbe an und deine Konturen werden sichtbar. Und du wirst feststellen, dass sich durch dein neues Standing die Strukturen verändern.
Du bist nicht länger selbstverständlich, sondern du nimmst mit deinen Bedürfnissen mehr Raum ein. Dadurch müssen die anderen ein wenig zur Seite gehen, sich umplatzieren, sich neu arrangieren. Dabei fällt niemand weg, nur die Strukturen verschieben sich.
Gesunde Abgrenzung fördert den Respekt untereinander, ist ein Gewinn an Achtung und ermöglicht ein Miteinander auf Augenhöhe.
- Ich achte einmal bewusst darauf, inwieweit mein fehlender Mut zur Abgrenzung dafür sorgt, dass ich mich schlecht fühle.
- Bevor ich blind etwas mache, weil alle es machen, spüre ich achtsam in mich hinein, ob ICH das auch wirklich möchte.
- Fällt es mir schwer, mich abzugrenzen, beobachte ich bewusst meine Gedanken, die mich daran hindern, für meine eigenen Bedürfnisse einzustehen. Welche Angst lauert dahinter?
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