Im achtsamen Erleben des Moments löst sich der Stress auf

Ruhe, Stille, Gelassenheit – Alles Begriffe, die dazu auffordern, dem rasanten Lebenstempo zu entsagen. Zeitmangel ist fast zu einer Art Volkskrankheit geworden. Jeder klagt, dass er keine Zeit hätte. Irgendwie sind wir Hypochonder, denn so ganz stimmt das nicht mit der wenigen Zeit. Das ist nämlich eine Frage der Gewichtung und der achtsamen Wahrnehmung des jeweiligen Moments.

Sich seiner digitalen Nutzung kritisch bewusst zu werden hilft dabei, Stress abzubauen und den Alltag erfüllter zu erleben.

Stress abbauen durch Erkennen der Relationen

Unser Tannenbaum festlich geschmückt wird von meiner Tochter sofort mit dem Handy aufgenommen und auf Instagram gepostet. Und für ein Tiktok lässt sich der Baum auch prima als Hintergrund verwenden. Derweil zeigt meine Schwiegermutter mir auf ihrem Handy irgendwelche Weihnachtsvideos, mein Mann schaut auf Linkedin, was Kollegen so liken, und mein Sohn schickt mir im Minutentakt WhatsApp von unterwegs, weil er Hilfe beim Geschenkekauf für den Opa benötigt. Wie wäre es, wenn wir dieses Jahr ein komplett digitalfreies Weihnachtsfest feiern könnten? Um bewusster und nachhaltiger zu erleben und um zu entschleunigen. Denn ist es nicht so, dass die permanente digitale Präsens viel Zeit raubt und eher stresst als entspannt? Und dann hetzen wir am Ende durch den Tag, um schnell noch alle Verpflichtungen zu erledigen.

„Geschwindigkeit ist keine Eigenschaft eines Gegenstandes, sie bezeichnet eine Beziehung. Physiker sprechen von einem relativen Begriff.“

Carlo Rovelli, aus: Interview mit brand eins, 12/15

Logisch, die Tage laufen nicht gehetzter oder getriebener ab, schließlich haben etliche Menschen die Zeit, sich an den Computer zu setzen, um stundenlang auf facebook zu schauen, was Freunde und die Freunde der Freunde so treiben. Und für den Physiker Carlo Rovelli gibt es sogar nichts „Verlangsamenderes“ als eben diese Zeit, während der man sich in Netzwerken herumtummelt. In Bezug auf Geschwindigkeit spricht er von etwas komplett Simplem, was mir einleuchtet: Zum Beispiel ist ein Fahrradfahrer im Vergleich zum Autofahrer viel langsamer. Wohingegen der Fahrradfahrer einem Fußgänger gegenüber extrem schnell erscheint. Man muss das alles in Relation sehen. Eilig haben es vielleicht alle drei. Wenn heute also ständig von zunehmender Geschwindigkeit des Alltags gesprochen wird, kann man das so gar nicht beurteilen. Es fehlt der Vergleich. Die Unmengen an Informationen, die uns gegenüber den Generationen vor uns heute zur Verfügung stehen, kurbeln nicht am Tempo, sondern offerieren uns lediglich ein Vielfaches an Wissen und Möglichkeiten. Warum lasten wir dann dem technologischen Fortschritt unser Gefühl von Zeitnot an?

Stress abbauen mithilfe eines Perspektivenwechsels

„Meine Großmutter hat die Erfindungen von Telefon, Flugzeugen und Fernsehen miterlebt – die sind bedeutsamer als Facebook und Twitter. Wir leiden unter einer falschen Perspektive, die uns nähere Dinge größer erscheinen lässt, als sie eigentlich sind.“

Carlo Rovelli, aus: Interview mit brand eins, 12/15

Ich denke auch, dass dieses Gefühl, alles würde gleichzeitig passieren, Multimedia rund um die Uhr und non stop Erreichbarkeit, im Grunde ein ziemlich hausgemachtes Problem ist. Meines Erachtens liegt es an der Perspektive. Spüre einmal selbst in dich hinein: Jeder klagt über Zeitmangel, ist in Eile und betont immer wieder gerne, was alles zu erledigen sei und wieviel Stress das bedeute. Was macht das mit dir? Mich reißt es mit, eine unterschwellige Unruhe erfasst mich, so dass ich unbewusst ebenfalls durchs Leben fiebere. Und dann schimpfe ich wie alle anderen, wie stressig das Leben geworden sei und wie schnelllebig. Dabei entscheide doch ich selbst, wie ich meinen Tag erlebe. Auch wenn ich im Alltag relativ durchgetaktet bin, liegt es doch an mir, ob ich diesen Rhythmus als Hetze oder als erfüllend wahrnehme. Denn mal ehrlich: Es gibt sie täglich, diese Pausen, in denen wir Zeit haben. Meistens fällt uns das nur nicht auf, weil wir sie mit unserem Handy füllen.

Deine Perspektive entscheidet, ob du deinen Tag als stressig und getrieben oder als erfüllt erlebst.

Stress abbauen mithilfe von Abgrenzung

Erinnerst du noch das Nachtprogramm der ARD? Jahrelang strahlte es für unruhige Nachtgeister die „schönsten Bahnstrecken“ Deutschlands aus. Eine Stunde lang sah man aus der Perspektive des Lokführers endlose Schienen und wenig Landschaft. Und auf Youtube kannst du dir Filme von Aquarien oder Ausblicke über das Meer ansehen. Offensichtlich langweilig, doch es scheint etwas mit einem zu machen. Es strahlt Ruhe aus und verlangsamt. In Norwegen gab es sogar „Slow TV“. Zum Beispiel konnte man dort drei Monate lang rund um die Uhr Blaumeisen beim Brüten und Futter Picken beobachten, die sich in einem Vogelhaus befanden, eingerichtet wie eine Puppenstube. Das komplette Gegenprogramm zur medialen Geschwindigkeit. Zeigt meine Tochter mir ihre „Street-Videos“, ist das eine unglaublich schnelle Abfolge von Bildern. So schnell, dass ich die einzigen Motive gar nicht mehr aufnehmen kann.

Im Endeffekt haben wir es aber selbst in der Hand, ob wir uns von der angeblichen „Geschwindigkeit des Alltags“ mitreißen lassen oder Ruhepole suchen, um aufzutanken und bewusst wahrzunehmen. Je achtsamer du deinen Alltag erlebst, desto deutlicher erkennst du, welches Maß an digitaler Nutzung dir guttut und wo es zu viel wird. Du kannst dich bewusst abgrenzen und dir Ruhepole suchen.

„Digitaler Stress entsteht, wenn wir den Umgang mit digitalen Technologien als belastend empfinden. Das kann durch die Dauer oder Art der Nutzung genau so bestimmt werden wie durch das digitale Medium selbst. Wichtig ist dabei die individuelle Wahrnehmung der Anforderung.“

resilienz-akademie.com

Stress abbauen mithilfe einfacher Handy-Regeln

Da mich vor allem das Handy stresst, diese permanente Erreichbarkeit, habe ich mir selbst drei einfache Handy-Regeln auferlegt:

1. Nicht sofort reagieren

Ich lese und beantworte meine WhatsApp nur noch zu bestimmten Zeiten.

2. Handypausen

Beim Essen, beim Hundespaziergang, in Bus und Bahn und nachts ist das Handy aus.

3. Handyfreie Wartezeiten

Beim Arzt oder in der Supermarktschlange lasse ich das Handy in der Tasche.

 

Bei meinen Kindern würde das nicht funktionieren, aber sie fühlen sich durch die digitale Nutzung im Gegensatz zu mir auch nicht gestresst. Trotzdem werde ich versuchen, ihren digitalen Konsum über die Feiertage etwas einzuschränken. Denn sobald wir uns im Internet verlieren, kappen wir die Verbindung zu unserem Spüren, wir sind komplett im Kopf. Und auch das Miteinander, das Spüren des anderen – Dafür bedarf es digitaler Auszeit.

Erst, wenn wir uns ganzheitlich wahrnehmen, erst dann fühlen wir auch Lebendigkeit. Und sobald wir diese Lebendigkeit achtsam genießen, dehnt sich die Zeit ein wenig aus und der Stress fällt von uns ab.

Ich wünsche Euch schöne und besinnliche Weihnachten!

  • Ich gönne mir handyfreie Zeiten, um wieder mehr in Kontakt mit mir selbst zu kommen.
  • Täglich spüre ich über den Atem in mich hinein, um die Verbindung zu meinem Körper herzustellen. So wird mir rechtzeitig bewusst, wann etwas für mich zu viel wird.
  • Die Pausen des Alltags genieße ich ohne Handy..
Über Achtsamkeit im allgemeinen, was das ist und wie es dir hilft, kannst du hier weiterlesen Weitere Informationen zum Thema "Stress abbauen" findest du hier ...

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