Es mag so aussehen, als sei es der falsche Zeitpunkt zum Loslassen. Ausgerechnet jetzt will sie mit uns über dieses Thema plauschen. Jetzt, wo überall X-mas wie ein Alarmsignal aufzublinken beginnt und unsere Terminkalender dem Bersten nahe sind. Warum jetzt? Eben darum – gerade jetzt. Für mich, für dich, für alle beginnt am Sonntag die besinnliche Zeit und das sollten wir wörtlich nehmen.
Was wirklich zählt im Leben, das lässt sich nicht planen. Und je mehr du loslässt und vertraust, je lebendiger und stressfreier lebst du.
Fünfe gerade sein lassen
Ein chinesisches Sprichwort besagt:
Das kleine Licht anzuzünden ist besser, als sich über die Dunkelheit zu ärgern.
Und genau das werde ich am Sonntag machen. Zum 1.Advent eine Kerze anzünden, mich davorsetzen, ein paar Weihnachtsplätzchen aus dem Supermarkt knabbern und mich freuen. Nur dasitzen und gut. Ich werde mir dabei keine Gedanken darüber machen, dass ich es noch nicht geschafft habe, Weihnachtskekse zu backen, die Weihnachtsdeko hervorzuholen, mir Gedanken über den Ablauf des bevorstehenden Festes zu machen, geschweige denn, an Geschenke und zu verschickende Weihnachtskarten zu denken.
Ich hatte noch keine Lust dazu und statt mich mit diesen anstehenden Aufgaben zu stressen, genieße ich die Besinnlichkeit des 1. Advents. Denn allein der Gedanke an all diese Dinge, die erledigt werden müssen, macht mich unruhig und verhindert den Genuss dessen, was gerade ist. Es muss nicht alles perfekt sein. Meine eigenen Ansprüche stressen mich nur. Statt also gedanklich bei den To-do-Listen zu sein, lasse ich los und erfreue mich lieber an dem, was ist: eine Kerze und Supermarktkekse, geht doch.
Stress abbauen beginnt damit, die eigenen Ansprüche loszulassen und sich auf den Moment einzulassen.
Sich bewusst Zeit nehmen
„Wir sind wie Vögel, die zu lange in einem Käfig gelebt haben und immer wieder in ihn zurückkehren – obwohl die Tür weit offensteht.“
Matthieu Ricard, Interviewauszug
Unser Verharren im immer gleichen Trott begründet der buddhistische Mönch Ricard mit der beruhigenden Wirkung von Gewohnheit. Da kann ich nur sagen: Hallelujah, alle Jahre wieder. Das ist ja wie in dem Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“.
Selbst wenn wir uns beklagen, wie gestresst wir durch die Weihnachtszeit hetzen und dass unsere guten Vorsätze vom Genuss der besinnlichen Zeit dahinbröckeln, es wiederholt sich und wiederholt sich und wiederholt sich – the same procedure as every year. Dabei macht es beispielsweise einen großen Unterschied, wenn du die Tannenzweige mit Muße und Achtsamkeit dekorierst: Du nimmst den harzigen Geruch wahr, ertastest die Form der Nadeln, pieksig oder gerundet, und du betrachtest ihre Vollkommenheit. Nimm dir Zeit für diese schöne Tradition. Sei mit allen Sinnen dabei und lass nicht zu, dass deine Gedanken dich antreiben. Nichts ist so kostbar wie das „Jetzt“.
Indem wir uns Zeit lassen und bewusst wahrnehmen, fällt etwas von den vielen äußeren Anforderungen von uns ab. Wir weiten das Erleben insofern, dass wir dem Erleben von uns selbst in dem Moment mehr Raum zugestehen.
In dem Moment, wo du mit allen Sinnen und deiner gesamten Aufmerksamkeit bei deinem jeweiligen Tun bleibst, baust du automatisch Stress ab.
Gesunder Egoismus
Mir fällt das ja auch schwer, das muss ich zugeben. Zu Beginn der Adventszeit komme ich mir vor wie eine Sprinterstute in der Startbox, mit Scheuklappen aufgerüstet für den Galopp durch die Weihnachtszeit. Wie wäre es mal mit „Nein“ sagen und die eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund stellen? Letztes Jahr beispielsweise haben mein Mann und ich uns bewusst zwei Adventswochenenden frei gehalten, um zum Beispiel gemütlich über den Weihnachtsmarkt zu bummeln, in festlich geschmückten Cafés Kaffee und Kuchen zu genießen oder einfach entspannt zuhause abzuhängen.
Unser Bedürfnis, gebraucht zu werden, unsere Angst egoistisch oder herzlos zu wirken, zu enttäuschen und abgelehnt zu werden, erschweren das Loslassen. Und unser sogenannter Kontrollzwang vermittelt uns Wertigkeit und schützt uns vor der Angst, Ablehnung zu erfahren.
Stress abbauen, indem du dich mit deinen Bedürfnissen an erste Stelle setzt, bedeutet die Angst vor Ablehnung zu überwinden.
Das Unperfekte lieben lernen
Mir fällt dabei gerade unser Festessen am Heilig Abend im letzten Jahr ein. Der Tisch war weihnachtlich gedeckt, die Kerzen brannten, die Gläser gefüllt und dann funktionierte der Raclette-Grill nicht. Alles war so schön geplant, doch jetzt hieß es improvisieren. So standen wir schließlich alle mit unseren Weingläsern in der Hand in der Küche und waren gemeinsam am Brutzeln und Kochen. Herrlich war das.
Den meisten Stress erzeugen wir uns mit unseren Vorstellungen davon, wie etwas sein soll. Und die schönsten Geschichten erzählen wir uns über Dinge, die anders als geplant liefen.
Ich neige leider auch dazu, alles planen zu wollen. Pläne geben mir Sicherheit. Dabei kann ich vieles gar nicht planen, denn die wesentlichen Komponenten, nämlich andere Menschen mit ihren Befindlichkeiten und Vorstellungen, die sind wenig planbar. Und dann lassen sich diese Pläne nicht umsetzen und das stresst mich dann noch zusätzlich. Vielleicht ist das auch so ein Mutter-Syndrom, immer für andere mitplanen zu wollen. Dabei weiß jeder, der Kinder hat, dass dieses viel zu oft vergebliche Liebesmüh ist, besonders dann, wenn diese Kinder lange aus den Kinderschuhen herausgewachsen sind.
Kontrolle abgeben und Loslassen bedeute nämlich neben dem Abbau von Stress noch etwas anderes sehr Schönes: Sich überraschen lassen. Leider sind wir immer auf das Negative fokussiert und haben ständig alle möglichen „Gefahren“ vor Augen. Nach dem Motto „Schöne Überraschung“ denken wir oft sofort an alle möglichen negativen Folgen. Unser Loslassen jedoch lässt Raum entstehen, damit die Dinge sich entwickeln können. Je vertrauensvoller wir die Kontrolle abgeben, desto gelassener und positiver können wir die Dinge annehmen, die geschehen.
Sich selbst vertrauen
Indem ich beginne loszulassen, rücke ich näher an mich heran. Ich verliere also nichts, sondern gewinne. Ich werde zu einem selbstbestimmten Menschen. Und je selbstbestimmter ich mein Leben führe und auch fühle, desto weniger Stress empfinde ich.
Achtsamkeit und Empathie sind unabdingbare Voraussetzungen für Selbstbestimmtheit. Selbstbestimmte Menschen sind mit sich selbst in Berührung. Ich muss mein Selbst überhaupt erst einmal wahrnehmen können, damit es bestimmen kann. Und je mehr ich mein Selbst achtsam erkenne und wahrnehme, desto näher bin ich an meinem Herzen und desto empathischer kann ich anderen begegnen. Wenn wir unentwegt auf das Außen reagieren, können wir unsere Aufmerksamkeit nur schwerlich auf uns selbst richten. Stress abbauen bedeutet demnach auch, sich selbst spüren und das Außen mehr und mehr loslassen. Je näher wir wieder an uns selbst heranrücken, desto mehr Vertrauen spüren wir. Und dieses Vertrauen ist notwendig, um Kontrolle abzugeben.
„Sich mit Achtsamkeit dem Erleben zuzuwenden bedeutet nicht nur, dass wir uns dessen bewusstwerden, was wir spüren, sondern auch der Tatsache, dass wir spüren.“
Tim Gard und Britta Hölzel, aus „Achtsamkeit – mitten im Leben“
Zu viel Stress führt dazu, dass wir uns selbst nicht mehr bewusst wahrnehmen. Und je mehr wir uns im Denken verlieren, desto weniger fühlen wir. Sich seiner selbst bewusstwerden ist wie ein Ankommen bei sich selbst. In dem Moment, wo du dir deiner selbst bewusstwirst, in diesem Moment löst du dich aus deinen Gedanken. Du fühlst dich, spürst deinen Körper und deine Emotionen.
Daher ist es so wichtig, die kleinen Momente der Achtsamkeit zu „trainieren“, beispielsweise innehalten und den Wind in den Bäumen wahrnehmen, den Boden unter den Füßen, den Geruch der Luft und die Geräusche um dich herum. In diesen Momenten bist du frei von Stress, verbindest dich über deine Sinne mit dir selbst.
Je öfter du solche Momente bewusst wahrnimmst, desto leichter wird es dir fallen, den Stress loszulassen und ebenso den Anspruch, alles unter Kontrolle haben zu müssen. Solche Momente verbinden dich mit dem „Jetzt“ und das „Jetzt“ ist nicht kontrollierbar, es ist vollkommen, wie es ist.
Bewusste Wahrnehmung des Moments mit all deinen Sinnen hilft dir dabei, den Stress abzubauen und über das Erleben des „Jetzt“ bei dir anzukommen.
- Ich klebe mir einen Post-it an meinen Computer-Bildschirm: „Lass dich überraschen“. Diese Mahnung soll mich täglich daran erinnern, nicht immer alles zu planen und unter Kontrolle haben zu wollen.
- Täglich genieße ich einen Moment der bewussten Wahrnehmung, sei es bei deiner Tasse Tee oder draußen in der Natur.
- Ich lasse mir bei allem, was ich tue, bewusst mehr Zeit, um mehr ins Spüren zu kommen.
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