Hast du noch nicht deinen Fünfjahresplan aufgestellt? Dann herzlichen Glückwunsch! Leben ohne Plan hat nämlich eine Menge für sich. Zugegeben, nicht in allen Lebensbereichen, doch wir sollten viel öfter planlos durchs Leben stolpern. Meist fehlt uns dazu der Mut. Denn ein „Ja“ zur Planlosigkeit bedeutet Mut zur Abgrenzung und Mut zur Begegnung mit sich selbst.
Leben ohne Plan und einfach nur sein. Um solche Auszeiten genießen zu können, müssen wir uns von unserem eigenen Pflichtgefühl abgrenzen.
Abgrenzung von eigenen Ansprüchen
Ein komplett freies Wochenende liegt vor mir und ich erwische mich dabei, wie ich Pläne mache: Wir müssten uns dringend mal wieder mit unseren Freunden treffen, außerdem habe ich lange keinen Kuchen für meinen Sohn gebacken und überhaupt, den kann ich zu Sonntag zum Essen einladen, also muss ich vorher n och einen Berg Lebensmittel einkaufen. Mein Mann verdreht die Augen: „Müssen wir jetzt schon alles planen?“ Ja, müssen wir, weil ich so bin. Ich plane und habe gerne alles unter Kontrolle. Denn ich bin dafür zuständig, dass wir unsere sozialen Kontakte pflegen und dass wir auch unseren Sohn regelmäßig sehen Und überhaupt würden wir ohne meine Planerei … ein herrlich entspanntes Wochenende genießen mit Platz für Spontanität und Faulenzen.
Touché! Ich schaffe es mal wieder nicht, mich von meinen vermeintlichen „Ansprüchen“ abzugrenzen, die niemand anderes an mich stellt als ich selbst. Abgrenzung von dem, was man in meinen Augen als „gute“ Ehefrau und Mutter tun muss. Also verspreche ich meinem Mann: keine Pläne fürs Wochenende. Das fällt mir schwer, fühlt sich aber herrlich befreiend an.
In der Zeit ohne Plan erkennen wir, wie wichtig Abgrenzung vor den eigenen Ansprüchen ist.
Abgrenzung von Ängsten
Ohne Plan fehlt es an Struktur und im Nacken lauert die Furcht, den Tag wohlmöglich zu vergeuden, die wertvolle Zeit nicht zu nutzen. Denn im Inneren sind alle möglichen Antreiber in Gange, die sofort pushen: „Mache dies, erledige das und nutze die Zeit.“ Diese Stimmen werden von Glaubenssätzen angefeuert. Bei mir die Glaubenssätze, für alles die Verantwortung zu tragen und es jedem rechtmachen zu müssen. Doch Glaubenssätze versuchen lediglich, unsere Grundängste (hier: Kontrollverlust bzw. nicht zu genügen) zu deckeln. Diese Ängste spüren wir nämlich, wenn wir uns von unseren Glaubenssätzen abgrenzen und ihnen nicht gehorchen. Dann fühlt sich auch die freie, planlose Zeit nicht gut an und lässt sich nicht genießen, weil unterschwellig die jeweilige Grundangst pulsiert. Doch genau darum geht es: Lassen wir Ängste zu, nehmen unsere Ängste liebevoll und mitfühlend an, verlieren sie an Bedrohung. So fällt es dann viel leichter, sich von den eigenen Antreibern abzugrenzen, die uns permanent „sinnvoll“ beschäftigen wollen.
Wenn du permanent am Planen und Organisieren bist, frage dich einmal, ob du selbst oder deine Glaubenssätze das Ruder in der Hand halten.
Wagst du es, dich von deinen Glaubenssätzen abzugrenzen, erlaubst du dir, dich auf Neues einzulassen und deine Wahrnehmung für Dinge zu öffnen, die nicht auf deinem Plan stehen. Und hierbei geht es wieder einmal um Selbstmitgefühl. Die eigenen Ängste mitfühlend spüren. Sie zulassen und dabei wohl spüren, dass sie unangenehm sind, aber dass sie eben „nur“ Ängste sind, die Szenarien beschwören, die allein in deinen Gedanken konstruiert werden. So verlieren sie an Bedrohlichkeit und erlauben dir, dich von deinen Antreibern abzugrenzen und dich für DICH zu öffnen, für all das, was dir guttun würde.
Abgrenzung öffnet für Neues
Abgrenzung ist ein wichtiger Schritt, um innere Fesseln zu sprengen.
Während ich über dieses Thema schreibe, muss ich an meine Eltern denken. Als beide nicht mehr „so gut zu Fuß waren“, fuhren sie häufig am Sonntag mit dem Auto über die Dörfer. Nachdem meine Mutter gestorben war, machte ich das dann manchmal mit meinem Vater zusammen. Ich holte ihn ab und fragte, wo wir denn hinfahren wollten. Er meinte dann immer, ich solle einfach losfahren, wir würden mal schauen. Das Ziel war das Fahren an sich, entlang der Wiesen und Felder, vorbei an alten Bauernhöfen, die er noch kannte, durch kleine Dorfstraßen und dabei immer wieder das Erzählen alter Geschichten. Wir ließen uns treiben – ohne Plan, ohne Ziel. Manchmal trafen wir einen Bauern auf seinem Gehöft, hielten an, stiegen aus und redeten eine Weile. So verging die Zeit und mein ursprünglicher Plan, mit ihm in einem Café einzukehren, lehnte er am Ende meist ab: „Wieso, war doch schön so, jetzt reicht das auch.“
Wer nicht vom Weg abkommt, bleibt auf der Strecke.
Sich treiben lassen und sich auf das einlassen, was gerade kommt. In unserem durchplanten Leben geht das viel zu oft verloren. Man muss eben nicht jede Minute „sinnvoll“ nutzen, denn der Sinn ergibt sich aus dem Erleben ganz von selbst.
Abgrenzung als Wegweiser zu dir selbst
Die Abgrenzung von der Maxime, möglichst jede Minute sinnvoll zu nutzen, ist im Grunde eine kleine Lektion in Punkto Selbsterfahrung. Probiere es doch selbst einmal aus: Jetzt im Mai ist es beispielsweise wunderschön, mit dem Fahrrad planlos durch die Gegend zu radeln und die erwachte Natur zu genießen. Vielleicht fühlt sich das im ersten Moment komisch an. Doch genau dieses komische Gefühl ist es, das dir verdeutlicht, wie sehr wir uns daran gewöhnt haben, verplant durchs Leben zu laufen. Dabei wirst du feststellen, wie viele schöne neue Eindrücke auf so einer Tour auf dich einwirken. Vor allem wirst du DICH spüren. Denn durch neues Erleben erfährst du dich wesentlich intensiver als im Radius des Gewohnten.
Ich denke auch, dass wir ohne Abgrenzung von dem Gewohnten im Grunde immer nur unserem Ego folgen. Ein Leben ständig nach Plan und ausgerichtet auf Pflichterfüllung ist genau das, was unser Ego erfreut. Wir richten uns sozusagen nach einer Vorstellung von uns selbst aus. Nach einem Bild, dem wir entsprechen möchten, weil wir meinen, so zu sein. Irgendwann wundern wir uns dann, warum wir so unzufrieden sind, keine Lebensfreude empfinden und warum uns die großen Fragen des Lebens wie eine Last erscheinen: Wer bin ich? Wozu das alles? Was ist der Sinn?
Abgrenzung durch einen wagemutigen Schritt in die Planlosigkeit bietet dir die Chance, deine Egoschichten abzulegen und tatsächlich einfach nur zu sein – DU zu sein. Und in diesen Momenten erfährst du auch die Antworten auf viele deiner Fragen geradezu wie von selbst.
Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein.
Rainer Maria Rilke, 1875 – 1926
Abgrenzung von zu viel Routine
Ein planloses Wochenende zu verbringen ist das eine, doch wie sieht es mit dem Alltag aus? Auch hier sollten wir uns ein wenig mehr von den Verpflichtungen abgrenzen und uns mehr Planlosigkeit gönnen. Ich habe mir zum Beispiel angewöhnt, bei meinen Gassi-Gängen mit dem Hundekind ab und zu neue Gegenden zu erkunden. Da habe ich oft keinen Plan, wo wir langgehen müssen und wo uns unsere Wege hinführen, doch so erlebe ich Neues und nehme wieder bewusster wahr.
Und manchmal grenze ich mich von dem durchgetakteten Alltag ab, indem ich mich einfach auf eine Parkbank setze und ein paar Minuten das Nichtstun genieße.
Um das heranzuziehen, was wir brauchen, benötigen wir Schutzzonen. Zeit und Aufmerksamkeit, die den für uns wichtigen Dingen gewidmet sind. Gesichert durch klare, für alle gut erkennbare Grenzen, die uns vor den endlosen Anforderungen, Entscheidungen und Verantwortlichkeiten, die ansonsten unsere Tage zerfressen, schützen. Damit wir erkennen können, was für uns wirklich wichtig ist, was für uns heilig ist. Indem wir Grenzen setzen rund um das, was für uns wertvoll und notwendig ist, erschaffen wir einen Platz für Freiheit und Fülle. Ohne selbst gezogene Grenzen – uns selbst und anderen gegenüber – werden wir vielleicht nie imstande sein, das zu pflanzen, zu hegen und zu ernten, wonach wir uns sehnen.
Therapeut und Autor Wayne Muller
Abgrenzung uns selbst (unseren Antreibern) gegenüber ist oft ein langer Weg. Trotzdem sollte es uns nicht betrüben, wenn wir damit immer wieder aufs Neue herausgefordert werden. Liebevolle Selbstzuwendung bedeutet eben auch, sich Zeit nehmen und aus dem Korsett des Alltags immer wieder neu herauswagen, um sich selbst zu begegnen.
- Zukünftig werde ich dafür sorgen, dass ich freie Zeit auch tatsächlich als freie Zeit betrachte, um achtsam zu spüren: Was möchte ich jetzt WIRKICH tun?
- Abgrenzung von inneren Antreibern bedeutet für mich ganz klar, meine Gedanken zu hinterfragen, ob sich hier Glaubenssätze melden.
- Ich werde mutiger Dinge unternehmen, die mein Verstand als Zeitvergeudung oder Sinnlosigkeit abstempelt. Nach dem Motto: Jetzt erst recht.
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