Manchmal müssen wir loslassen. In Wirklichkeit müssen wir sogar sehr oft loslassen. Da werden wir gar nicht gefragt. Die Umstände ändern sich und wir müssen irgendwie mit. Dieses diffuse „irgendwie“ hat es jedoch in sich: Es macht uns Angst und rüttelt an unserer Gelassenheit. Vielleicht sollte man dieses „irgendwie“ konkret benennen. Dann sieht es nämlich gleich ganz anders aus.
Selbstverantwortung stärkt deine Gelassenheit und öffnet deinen Blick der Liebe.
Gelassenheit hat viel mit Liebe zu tun.
Mein Vater zieht in eine Seniorenresidenz. Alles musste schnell organisiert werden, von heute auf morgen kann er kann nicht mehr alleine leben. Und plötzlich fällt all das weg, was bis dato so vertraut und selbstverständlich war. Am Wochenende müssen wir seine Wohnung ausräumen. Das macht traurig und steht mir bevor. Noch mehr die Sorge und Angst, ob er sich in seinem neuen Heim wohlfühlen wird. Angst, Angst, Angst – Statt meinem Vater gegenüber Gelassenheit auszustrahlen, könnte ich nur weinen und habe Mühe, Gespräche zu finden. Dabei möchte ich ihm gerade jetzt Liebe schenken und damit das Vertrauen spüren lassen, dass alles gut wird.
„Jede tiefe Trauer hat das Potenzial, Selbstbeschränkungen aufzulösen und unseren Blick in die Weite zu richten – sei es die innere oder die äußere.“
Natalie Knapp, aus „Der unendliche Augenblick“
Beobachte ich achtsam meine Gedanken und spüre ich ebenso achtsam in mich hinein, ist es weniger Traurigkeit als Angst, die mich daran hindert, loszulassen. Angst vor dem Neuen. Dann werde ich nicht mehr wie gewohnt in die altbekannte Straße fahren, schnell mit dem Fahrstuhl zur Wohnung hoch, Schlüssel ins Schloss und beim Umdrehen schon laut rufend „Hallo, ich bin´s“. Und ebenso Angst davor, dass mein Vater in dem Pflegeheim nicht zurechtkommt, dass er sich dort trotz netter Gesellschaft einsam fühlt, dass er sich aufgibt und in tiefer Depression endet.
Doch warum schaffe ich es nicht, meinen Blick mit den Augen der Liebe auf all das zu richten, was jetzt ansteht? Denn der Blick der Liebe würde mir Gelassenheit schenken, das Vertrauen, dass trotz der Befürchtungen, mein Vater dort rund um die Uhr gut versorgt ist, medizinisch bestens betreut und wir beide neue Routinen für unsere regelmäßigen Treffen finden werden.
Sobald sich Routinen auflösen, verlieren wir zwar an Sicherheit, gewinnen aber an Weite.
Löst sich das vertraute auf, weitet sich unser Blickwinkel und unsere Wahrnehmung wird sozusagen gelüftet. Eine neue Herausforderung lässt uns wieder das Leben bewusster spüren. Schaue ich mit dem Blick der Liebe auf diese neue Situation, erkenne ich, wie wertschätzend das Zusammensein mit meinem Vater ist. Diese neue Situation bietet uns die Möglichkeit, andere und tiefergehende Gespräche zu führen. Über das Leben und über den Tod, denn wir wissen beide, dass dieses seine letzte Station sein wird. Und auch dieses gemeinsame Erleben ist ein Geschenk, auch wenn es traurig macht und schmerzt.
„Denn das bedeutet, den Verlust als Teil des Lebens anzuerkennen und dadurch in eine Aufmerksamkeit für das Wesentliche und Wirkliche hineinzuwachsen.“
Natalie Knapp, aus „Der unendliche Augenblick“
Eigenverantwortung stärkt deine Gelassenheit
Alles, was uns traurig stimmt, macht uns innerlich weich. Gleichzeitig öffnet es die Tür zu verborgenen Ängsten, die wir im Täglichen gerne verschlossen halten. Doch ist diese Tür erst einmal geöffnet, ist es für uns wie ein Anstoß, uns mit uns selbst auseinanderzusetzen und eigenverantwortlich für uns zu sorgen. Eigenverantwortung bedeutet vor allem, sich ehrlich den eigenen Gefühlen zu stellen, Schmerzhaftes liebevoll anzunehmen und sich selbst Liebe zu schenken, um Kraft zu tanken, um auch für andere da sein zu können. Zuerst muss ich mich selbst liebevoll mit all meinen Ängsten in den Armen wiegen können. Je mehr ich meine Ängste zulasse, desto leichter kann ich mich von ihnen lösen. Denn es liegt an mir, ob ich mich von meinen Ängsten dirigieren lasse, oder ob ich ihnen Raum gebe, um sich zu zeigen, und dann wieder meinen Fokus auf die Liebe richte. Es geht darum, Ängste zuzulassen, sie jedoch nicht festzuhalten.
Indem ich meine Ängste loslasse, gewinne ich an Größe.
Schaue selbst einmal, welche Gefühle in beängstigenden Umbruchphasen bei dir in der Vergangenheit aufkeimten? Ich denke, in dem Moment, wo man in solchen Momenten seine Gefühle achtsam erkennt und benennen kann, in genau diesem Moment offenbart sich einem das Potential derartig herausfordernder Situationen. Und damit schwindet die Angst. Das Loslassen fällt leichter und ein Gefühl der Selbstverantwortung und Akzeptanz stärkt die innere Gelassenheit gegenüber dem Neuen. Das ist das Leben – Abschiednehmen gehört dazu. Loslassen gehört dazu. Aber eben auch Liebe und innige Momente vertrauter Zweisamkeit.
Gelassenheit öffnet das Vertrauen in die Möglichkeiten
„Erst wenn wir anerkennen, dass wir über grundlegende Bewegungen des Lebens keine Kontrolle haben, bemerken wir die Fülle an Möglichkeiten, die wir bislang übersehen hatten, weil wir auf unseren überschaubaren Lebensentwurf fixiert waren.“
Natalie Knapp, aus „Der unendliche Augenblick“
Losgelöst von meiner jetzigen Situation mit meinem Vater: Neue Situationen und Veränderungen machen das Leben zu dem, was es ist: ein großes Abenteuer mit Lachen und Weinen, mit Abschieden und neuen Begegnungen. Jede Phase, die wir durchschreiten, bedeutet immer auch Loslassen. Und jedes Loslassen wirft uns auf uns selbst zurück.
Von dem Soziologen Hartmut Rosa stammt der Satz:
„Wer sein Leben unter Kontrolle hat, ist tot.“
Mir gefällt der Satz. Denn Loslassen bedeutet ja nicht, Abgabe der Verantwortung, sondern es bedeutet einen Kontrollverlust unter achtsamer Eigenverantwortlichkeit. Deswegen sind Gelassenheit, Vertrauen und der Blick der Liebe so wichtig.
Während ich mir hier also Gedanken über Loslassen und Eigenverantwortlichkeit mache, spüre ich, wie ich mich innerlich trotz Ängsten und Traurigkeit kräftiger und gelassener fühle. Die dunklen Seiten des Lebens anzunehmen, das tut weh. An der jetzigen Situation kann ich nichts ändern. Aber ich kann etwas an der Haltung gegenüber dieser Situation ändern. Ich möchte gerne eine positive Haltung einnehmen, eine vertrauensvolle und von Liebe getragene. Meine Tränen werde ich trotzdem weinen, sie müssen fließen, um den Schmerz wegzuschwemmen und Platz für das zu schaffen, was jetzt wichtig ist: ein von Liebe und Vertrauen getragenes Miteinander.
Heute bin ich froh, dass ich mich schon länger mit dem Thema Achtsamkeit beschäftige. Auch wenn ich nach wie vor mit meiner achtsamen Haltung hadere und oft innerlich über mich selbst den Kopf schüttle, dass ausgerechnet ich über dieses Thema schreibe, jetzt hilft es mir. Denn ich erkenne achtsam, was ich jetzt brauche, um meinem Vater eine Stütze zu sein. Ich erkenne, dass ich meinem Vater nur dann eine Stütze in dieser für ihn unruhigen und beängstigen Zeit sein kann, wenn ich mich selbstfürsorglich auch um mich kümmere. Und vor habe ich durch die Achtsamkeit gelernt, die jeweiligen Momente bewusst zu erleben und dadurch zu intensivieren.
- Ich lasse mich nicht von Ängsten leiten, sondern richte meinen Fokus auf die Liebe. Diese Haltung stärkt mein Vertrauen und meine Gelassenheit.
- Ich werde versuchen, diffuse Ängste in Bezug auf Loslassen, genau zu benennen. Dadurch kriege ich Abstand und kann mich von ihnen lösen.
- In belastenden Situationen stärke ich mich mit dem Bewusstsein, dass ich selbst die Verantwortung für meine Haltung und mein Handeln trage.
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