Emphatie ist hoch im Kurs: Im Beruf, in der Partnerschaft, im Freundeskreis oder mit Blick auf gesellschaftspolitische Themen. Wer nicht in der Lage ist, Empathie zu zeigen, wird als kalt und gefühllos abgestempelt. Mitgefühl scheint dagegen weniger konstruktiv. Nur warum üben sich dann buddhistische Mönche jahrelang darin, ihr Mitgefühl zu stärken, um in Gelassenheit zu erkennen, was wirklich ist?
Mitgefühl ermöglicht dir, aus der Gelassenheit zu erkennen, was wirklich ist und welche Ressourcen vorhanden sind.
Mitgefühl stärkt deine Gelassenheit
Ich gehe mal davon aus, dass du ein sehr empathischer Mensch bist. Geht es einem deiner Lieben schlecht, leidest du mit. Und als Mutter ist das oft besonders leidvoll, denn das Mitleiden erscheint in dem Moment derart schlimm und allumfassend, dass man selbst gar nicht mehr in der Lage ist, sich abzugrenzen. Mein Sohn steckt gerade in seiner Zukunftsplanung fest. Und ich spüre, wie sehr er darunter leidet, wie ihn das belastet, doch Hilfe lehnt er ab, was jedes Mal im Streit eskaliert. Ich fühle derart mit, dass es mich auch körperlich runterzieht. Meine Energie ist wie weggeblasen.
Mein Mann dagegen sieht die Dinge klarer. Auch wenn ich hier absolut das Klischee bediene, doch in Gesprächen mit Freundinnen wird mir dieses immer wieder bestätigt: Väter gehen „realistischer“, „vernunftgesteuerter“ und weniger „gefühlsgebeutelt“ mit den Kinderthemen um. So also auch mein Mann. Er versteht sehr gut, wie belastend die Situation ist, doch er lässt sich davon nicht runterziehen. Dann werfe ich ihm fehlende Empathie vor. Doch im Endeffekt ist meinem Sohn mit seiner Haltung mehr geholfen, denn mein Mann bleibt gelassen. Und deswegen ist er kein weniger liebevolles Elternteil. Er fühlt mit, bewahrt sich jedoch seine Gelassenheit, um aus dieser Haltung der Gelassenheit nach Wegen zu suchen, die Situation zu meistern.
Bei der Empathie leidet man selbst mit, beim Mitgefühl ist man innerlich freier und kann klarer denken.
Empathie ist spontaner und erfolgt sozusagen aus dem Bauch heraus. Vor allem beruht sie auf eigenen Erfahrungen. Deswegen leide ich bei meinem Sohn derart mit, weil es ein Gefühl aus der Vergangenheit triggert, ein Gefühl des Alleinseins und der Verzweiflung. Mein Mann dagegen hat eine mitfühlende Haltung. Mitgefühl basiert nicht auf den eigenen Erfahrungen. Man geht nicht in dem Leid des anderen auf, sondern entwickelt vielmehr das Bedürfnis, zu helfen. Man leidet mit, fühlt das Leid des anderen, ohne selbst in Gefühlslöcher zu rutschen. Man bleibt sozusagen bei dem anderen. Dadurch fühlt man eine Gelassenheit und bewahrt sich einen umfassenderen Überblick.
Mitgefühl lässt uns die Situation ganzheitlicher erkennen.
Empathie ist Einfühlung. Mitgefühl ist Einfühlung plus den Wunsch, Heilsames zu bewirken.
Mitgefühl bewahrt also eine gewisse Gelassenheit, um zu schauen, was jetzt wichtig ist und den Blick auf das Gute zu richten, auf das, was bereits funktioniert, was erreicht wurde, was da ist. Übst du dich im Mitgefühl, blickst du wohlwollend und freundlich auf den anderen beziehungsweise auf dich selbst. Du siehst nicht nur das Leid, sondern dein Blick richtet sich auch auf das, was im Leben bereits an Gutem vorhanden ist.
Du erkennst gleichzeitig die vorhandenen Ressourcen. Damit versinkst du nicht in Negativem, sondern behältst das Positive im Auge. Du betrachtest die Situation gelassener und suchst nach Möglichkeiten, wie man das Gute fördern und Wege und Lösungen finden kann. Mit dieser Haltung wird das Leid nicht verdrängt oder missachtet, nur anders gewichtet. Vielleicht trägt Mitgefühl immer die notwenige Gelassenheit im Gepäck und ist zudem eine lösungsorientierte Variante.
Mitgefühl entwickelt sich aus der Achtsamkeit
Der buddhistische Mönch Yesche Udo Regel unterrichtet Kurse zur Tonglen-Meditation. (paramita-online.de). Bei dieser Art der Mitgefühlsmeditation geht es um Geben und Nehmen – Annehmen und Aussenden. Sehr verkürzt beschrieben: Du nimmst das Leid beim Einatmen an, so dass es näher an dich heranrückt und dein Mitgefühl weckt. Beim Ausatmen sendest du Mitgefühl aus, verbunden mit der Vorstellung, dass dein Mitgefühl in das Leidvolle eindringen und heilsam wirken kann.
Praktizierst du diese Art der Meditation für dich selbst, um dich mit Selbstmitgefühl zu beschenken, erkennst du wesentlich klarer, welche Emotionen dich gerade am Wickel haben. Du gewinnst Abstand zu der Emotion, die am Köcheln ist. Das ermöglicht dir, dich nicht von deinen Gefühlen übermann zu lassen und zu spüren: Du hast eine Emotion, aber du bist nicht deine Emotion.
„Manchmal verwende ich an dieser Stelle auch die Frage »Was genau ist das Schwierige für mich an dem Problem?«, um es dann besser benennen und verorten zu können.“
Yesche Udo Regel in einem Interview von Anke Zillessen www.ankezillessen.de
Tonglen-Meditation kannst du für dich selbst machen, für deine eigenen Probleme und Sorgen, und auch in Bezug auf die Leiden anderer Menschen anwenden. Du sendest dabei immer Liebe aus und schenkst Gelassenheit und Vertrauen, dass es gut wird.
Mitgefühl bedeutet Begegnung auf Augenhöhe
Je länger ich über all das nachdenke, desto klarer erkenne ich, dass meine fehlende Gelassenheit mich immer wieder in Situationen zieht, in denen ich empathisch mitleide und so mein Leid aus der Vergangenheit heraufbeschwöre. Je gelassener ich jedoch bei mir selbst bleibe, desto mehr Raum und Platz schaffe ich, um Möglichkeiten zu erkennen.
Gehe ich zum Beispiel mit einer Person zusammen einen Weg entlang, dann gehe ich neben der Person. Ich bin an seiner Seite, ich gehe mit ihr. Jedoch trage ich die Person nicht auf meinen Schultern, trage nicht ihr Gewicht.
Vielleicht hilft dieses Bild, die Bedeutung von „mit-fühlen“ einprägsam darzustellen. Würde ich die Person auf meinen Schultern tragen, würde ich durch das Gewicht auch gar nicht in der Lage sein, gelassen zu gehen, weil mich die Last des anderen im schlimmsten Falle in die Knie zwingen würde.
Gelassenheit ist also wichtig, um wirklich für einen anderen da zu sein. Und Gelassenheit ist ebenso wichtig, um auch für dich selbst da sein zu können und gut für dich zu sorgen.
- In Situationen, in denen ich alles negativ sehe, versuche ich über meinen Atem zu mehr Gelassenheit zu finden, um in Klarheit zu erkennen, was wirklich ist.
- Ich schenke mir selbst Gelassenheit, indem ich mich in schwierigen Situationen frage: Was ist mir hierbei wirklich wichtig?
- Spüre ich, wie mich die Sorgen anderer fluten, trete ich bewusst einen Schritt aus der Situation zurück und frage mich: Was brauche ich jetzt? Denn erst, wenn ich in meine Gelassenheit zurückfinde, kann ich auch helfen.
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